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Wohnen ist ein wesentlicher Teil und Grundbedürfnis des Menschen. Die Rahmenbedingung in Form einer Wohnstätte sollte daher so angenehm wie möglich sein, es sollte Schutz vor den Unbilden der Natur und im besten Fall einen Ruhepol bilden zu den hektischen Momenten des städtischen Lebens. Die Wohnung sollte einfach in der Benutzung und schön sein, Identifikation ermöglichen sowie Raum zur Entfaltung bieten. Städtebaulich und architektonisch sollte das Wohnhaus wohl durchdacht sein und durch den sparsamen Einsatz der Mittel auf die wesentlichsten menschlichen Bedürfnisse eingehen. Aussen muss es Sicherheit bieten, die Innenräume hingegen sollten eine ansprechende Atmosphäre ausstrahlen. Mit der bewussten Inszenierung von Materialien sollte eine Vision entstehen, wie in Zukunft die Ressourcen in nachhaltiger Weise für den besten Nutzen der Bewohner:innen eingesetzt werden können. Genossenschaftliche Wohnmodelle sind eine Möglichkeit, um Menschen zusammenzubringen, die gemeinsam wohnen und leben wollen und der gewohnten Anonymität der Stadt durch Zusammenhalt und Gemeinschaft ein Gegenmodell entgegensetzen möchten.

 

Dirty Harry

 

Im Basler St. Johanns-Quartier, im an der französischen Grenze liegenden Stadtteil Lysbüchel, hat die für sozialen Wohnungsbau engagierte Stiftung Habitat ein ehemaliges Lagerareal eines Handelsunternehmens angekauft und Teile davon selbst bebaut sowie im Baurecht weitergegeben. Es wurde eine Genossenschaft gegründet, in der die beiden Architekten des Hauses sowohl als Initianten, Planer und Bewohner beteiligt sind. In einem städtischen Block mit freiem Innenhof befindet sich das Wohnhaus «Dirty Harry». Vom Stadtzentrum kommend, begrüsst die in gedecktem Farbakkord aus Beige (Lehmsteine), Grau (Beton) und freundlichem Hellbraun (Rollläden) gestaltete Fassade mit willkommen heissender Geste. Ein vier Geschoss hoher Erker wendet sich mit einer leichten Drehung den Ankommenden zu und schafft gleichzeitig einen geschützten Eingangsbereich. Hinter dieser Anmutung steckt nicht nur eine städtebauliche Geste, die diesen Baustein innerhalb des Blockrandes auszeichnet. Mehr als eine wohlüberlegte Fassadengestaltung ist sie prononcierter Ausdruck einer ausgeklügelten Grundrissdisposition, die den Ansprüchen an zeitgenössischem Wohnraum Genüge tut. Nähert man sich dem Gebäude an und folgt dem leicht ansteigenden Trottoir, passiert man ab der Grundstücksgrenze eine niedere, dicke Betonwand, die zum früheren Bestand einer Lagerhalle gehörte. Präzis gesetzte Schnitte, um den Zugang zum Hauseingang und eine angenehme Höhe als Markierung einer Grenze zu erhalten, haben neben den patinierten Betonoberflächen auch Schnittflächen erzeugt, die die historische Schichtung des Ortes augenscheinlich werden lassen.

Zur Strassenseite weist das Wohnhaus sieben, aufgrund des Terrainunterschieds zum Hof acht Geschosse auf. Die vertikale Ordnung der Fassade übernehmen die streng angeordneten hochrechteckigen Fenster, die durch die Führungsschienen in Aluminium noch einen stärkeren Vertikalzug erhalten. Aufgelockert wird die Fassade zum einen durch die schönen, grossen Holzrahmenfenster und zum anderen durch die lebendige Farbigkeit der Lehmsteine der zweischaligen, nichttragenden Wände.

Auf fünf Regelgeschossen und im zurückversetzten Dachgeschoss sind insgesamt elf Wohnungen untergebracht, die jedoch je nach Disposition – durch Schaltzimmer – zwischen 2,5 und 4,5 Zimmer beinhalten können. Daneben befinden sich auf der Gartenebene Keller und eine Waschküche und im Dachgeschoss eine gewerbliche Küche zur gemeinsamen Benutzung wie zur Anmietung. Das letzte Geschoss beherbergt ein Gästezimmer sowie eine gedeckte Dachterrasse. Der Kern des Gebäudes, das Treppenhaus und die Decken sind in Sichtbeton ausgeführt. Letzterer ist das horizontale Gliederungselement der Fassade. Die Erker zur Strasse und zum Hof sind Teil einer sich durch alle Geschosse durchziehenden Raumschicht, in der sich auch die Erschliessung des Gebäudes befindet. Durch die leichte Verdrehung um 10° gegenüber den beiden Brandmauern ergeben sich in den Wohnungen unerwartete Raumkreationen. Schaut man nach dem Eintreten in die Wohnung in Richtung der Balkone, bemerkt man nicht, dass man einmal dabei durch die Küche blickt. Solche perspektivischen Kniffe, erzeugt durch architektonische Dispositionen auf kleinstem Raum, machen Lust, hier zu wohnen. Die raumbegrenzenden Ebenen der Wohnungen bestehen aus harten Beton-, Estrich- und Lehmziegelflächen. Wie als Antidot fungieren helle Birkenholzflächen. Diese raumhohen, aber von Decke und Boden leicht abgesetzten Flächen werden als Türen oder Raumtrennungen eingesetzt oder ergeben sogar ganze Räume. Sämtliche Installationen sind eingebaut, der umbaute Raum ist klug ausgenützt, kein Platz ist verschwendet. Das Auge schweift ungestört über kontrastierende Beton- und Holzoberflächen hin zu den Aussenmauern und Fenstern, dem Licht zu.

Text: Harald R. Stühlinger

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