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Städtisches Leben verlangt einiges von seinen Bewohnerinnen und Bewohner ab. Schon in der römischen Antike hatten sich diejenigen, die es sich leisten konnten, Orte am Land geschaffen, an denen sie sich von den Anstrengungen des urbanen Lebens erholen konnten. Sie bezeichneten das Leben in ihren Landvillen als «otium», als Musse oder Ruhe von der Berufstätigkeit. Menschliche

Bedürfnisse sind ungeachtet aller offenbarer und vermeintlicher Modernisierungswellen intrinsisch gegeben und unheilbar. Um sich von den Strapazen der Arbeitswelt zu erholen, werden unterschiedliche Strategien

angestrengt, je nach den Möglichkeiten der Betroffenen: sei es ein Wellnessaufenthalt, die Arbeit in einem Schrebergarten, eine Reise oder der Erwerb eines Ferienhauses. Der vielzitierte Tapetenwechsel reicht allein schon aus, um in der Freizeit in einen Erholungsmodus zu gelangen. Die Wirkung der «Natur», auch wenn sie vom Menschen längst in eine Kulturlandschaft verwandelt wurde, trägt wesentlich dazu bei, den Erholungsprozess zu intensivieren.

 

Étang

Zwischen Belfort und Mulhouse auf dem Plateau im Vorland der Vogesen, am Südfuss des Berges Le

Châtelet, liegt das kleine Dorf Romagny-sous-Rougemont. An dessen westlichem Ortsrand, eingefasst von Wäldern, wurde früher der Wasserlauf Margrabant für die Fischzucht gestaut, sodass unzählige Teiche entstanden. Heute prägen in der gesamten Umgebung unzählige Fischteiche die Landschaft und zeugen vom Wasserreichtum der Vogesen. Über eine Ortsausfahrt erreicht man eine Senke und gelangt zu den Wasserflächen, die beschaulich ruhig zwischen den Bäumen liegen und in den Betrachtern und Betrachterinnen friedvolle Stille evozieren. An der südöstlichen Ecke eines dieser Teiche und in einer Weggabelung zweier Forststrassen stand einst ein Fischerhäuschen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auf dessen Sockel wurde ein Neubau aus Holz errichtet, mit kompakt angelegtem Haupthaus und angebautem kleineren Abstell- und Technikraum. Zum Dorf hin sticht der Sockel in seiner grauen, rauen Erscheinung zwischen der Wiese und dem Holz hervor. Zum Teich hin verschwindet er durch das vom Damm des oberen Teichs vorgegebene Terrain im Boden. Die meiste Zeit steht das Gebäude als vermeintlicher Schuppen am Rande des Teichs und wird manchmal als Ferienhaus einer Basler Familie zum Leben erweckt. Dann öffnen sich die beweglichen Elemente der Lärchenholzfassade und machen aus dem

stereometrischen Körper ein lustvoll variierbares Haus. Bei genauem Hinsehen erkennt man an allen vier Seiten Lamellenläden in unterschiedlicher Grösse. Mal handelt es sich um Läden vor Fenstern, zum Teich hin sind es geschosshohe Läden. Wird das Haus belebt, ändert sich die Gestalt des Gebäudes, die Läden

stehen offen und geben den Blick frei auf die Teiche und die Wälder. An der Längsseite zum Teich befindet

sich eine Pufferzone in der Form einer schmalen gedeckten Terrasse, die sowohl im offenen wie auch geschlossenen Zustand zum Verweilen in Freien einlädt. Dort befindet sich eine der beiden Türen, die andere führt an der Nordwestseite direkt zu einer Terrasse über dem Teich. Neben dem Unterschied von geschlossenem und geöffnetem Gebäude findet sich noch eine zweite, nicht minder beeindruckende architektonische Dichotomie. Sobald man die Schwelle von Aussenraum zu Innenraum überschreitet, kommt es zu einem Wechsel der Farbe, Art und Bearbeitung des Holzes. Während aussen mit dunkel lasiertem Lärchenholz auf den ruralen Charakter des Ortes referiert wird, strahlt der Innenraum mit seinem hellen, glatten Fichten- (Wände) und Lärchenholz (Böden) die Gegenwelt eines geschützten Refugiums aus. In der kompakten Form steckt eine grosszügige Wohnküche, ein Schlafzimmer mit angeschlossenem Bad sowie eine Schlafnische, die vom Hauptraum über eine Leiter erreichbar ist. Veränderbarkeit spielt auch im

Inneren eine grosse Rolle. Platzsparende, tischlermässig sauber ausgeführte Schiebeelemente fungieren nicht nur als Schiebetüren, sondern auch als Schränke. Grosse Schiebefenster erlauben es, den Innenraum zur Terrasse hin zu erweitern, eine doppelflügelige Tür ermöglicht den direkten Gang zur Teichterrasse. Der Kontrapunkt im Innenraum sind die schwarzen Oberflächen. Sowohl der Küchenbereich wie auch das Badezimmer treten durch ihre dunkle Erscheinung in erfrischenden Kontrast zu den omnipräsenten Holzoberflächen.

Vom Tisch der Wohnküche aus geht der Blick hinaus auf Teich und Wald. Vexierbildern gleich, Spiegelungen erzeugend, Spannung aufbauend zwischen «Verdecken» und «Entdecken», schaffen die geöffneten oder geschlossenen Fenster und Läden visuelle Dispositionen, die die Aussicht zu einem Spiel des Schauens und Erlebens machen. Still scheinen die Teiche in dieser Senke zu liegen, flach ist die Wasseroberfläche, aber just an der Stelle, wo das Haus am Teich steht, befindet sich der Ablauf von diesem Teich in den nächst darunterliegenden. Ein

konstantes Plätschern bricht die Stille, doch mit der Dauer des Aufenthaltes wird es zu einem steten Hintergrundgeräusch, das zur Erholung an diesem Ort Wesentliches beiträgt.

Text: Harald R. Stühlinger

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